Page 17 - Stadtanzeiger04.2020
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                                                                                                  Samstag, 18. April 2020

die darin befindliche Laube als Friseurstube für Soldaten zu nut-
zen.
Lt. Befehl Nr. 42 vom 27.08.1945 hatten sich alle Angehörigen
der deutschen Armee ab Dienstgrad Leutnant, die Mitarbeiter
der SA, SS, Gestapo sowie NSDAP-Mitglieder bis zum 25.09.1945
zur Registrierung in der Stadtkommandantur einzufinden. Bei
dieser Aktion wurden u. a. auch 29 Jugendliche des Jahrgangs
1928/29 verhaftet und über die Gefängnisse Reichenbach, Plau-
en, Zwickau (mit und ohne Verurteilung) in Speziallager des sow-
jetischen NKWD nach Mühlberg, Buchenwald, Bautzen verbracht.
Viele davon landeten in Sibirien und mussten z. T. im Bergbau
arbeiten. Die Meisten kehrten 1950, die Letzten 1953 als Kriegs-
gefangene zurück. Ein Teil überlebte die Lagerzeit nicht. Die An-
klage erfolgte meist in russischer Sprache und war mit Spionage,
Sabotage und Wehrwolftätigkeit begründet. Es gab keine Vertei-
diger. Der Dolmetscher übersetzte nur das Urteil.
Seit 1945 bis 1947 dienten drei Räume der Alten Schule als Kin-
dergarten, anfangs für 35 Kinder, später für 90 Kinder ab drei Jah-
re. Leiterin war Erna Schmidt.

                                                                     Aushang in Geschäften, der eine Bedienung sowjetischer Soldaten
                                                                     verbot

1. Kindergarten 1945

                                                                     Siegesbogen der Roten Armee

Lebensmittelmarken                                                   Durch Borgen und „Anschreiben“ überbrückte man die Nah-
                                                                     rungsbeschaffung. Außerdem durch Ährenlesen und Kartoffel-
Bei Schießübungen der Roten Armee am Schützenhaus 1946 traf          stoppeln auf den Feldern der Umgebung. Brennholz beschafften
ein Querschläger Helga Popp am Oberschenkel. (Entfernung ca.         sich die Menschen vorrangig aus den umliegenden Wäldern bis
300 Meter) Ihre Mutter brachte sie im Handwagen zum Arzt Dr.         in die Nachtstunden, dabei immer auf der Hut vor Flurschutz bzw.
W. Walter. Dieser überwies sie zur weiteren Behandlung ins Rei-      Waldhüter. Lebensnotwendig aber gefährlich waren Tauschge-
chenbacher Krankenhaus. Dieser Aufenthalt bewirkte, dass die         schäfte, Hamsterfahrten und Kohlenklau von Güterzügen.
bevorstehende Einschulung erst ein Jahr später erfolgte.             Dabei mussten die Frauen und Mütter gleichzeitig neben der
                                                                     Arbeit im Betrieb die Erzieherrolle sowie Verpflegungsaufgaben
                                                                     bewältigen.
                                                                     Mit den Erinnerungsberichten sollen nachfolgende Generationen
                                                                     Kunde und zugleich Aufforderung erhalten aus der Geschichte
                                                                     Lehren zu ziehen und den Krieg zu verabscheuen. Es erhebt sich
                                                                     heute die Frage, hat die Menschheit aus dem II. Weltkrieg nicht
                                                                     gelernt? Es scheint so, wie könnte sich unser Land ansonsten zum
                                                                     drittgrößten Waffenlieferanten der Welt entwickeln und zusam-
                                                                     men mit anderen Staaten an Kampfhandlungen in Kriegs- sowie
                                                                     Krisengebieten beteiligen. Wenn es uns nur um Macht, Gier und
                                                                     Profit geht, wird sich die Erde dagegen wehren. Die Vergangen-
                                                                     heit lässt sich nicht ungeschehen machen oder nachträglich kor-
                                                                     rigieren. Verschließt man aber vor der Vergangenheit die Augen,
                                                                     wird man für die Gegenwart und Zukunft blind.

                                                                     Falk Naumann
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