Page 15 - Stadtanzeiger04.2020
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                                                                                                    Samstag, 18. April 2020

                                                                   keine Feinde sehen. Dieser Mut beeindruckte die Soldaten an-
                                                                   scheinend. Gegen 7.30 Uhr rollten amerikanische Panzer in Netz-
                                                                   schkau ein. Sie fuhren die Bahnhofstraße abwärts zum Markt, ein
                                                                   Teil weiter nach Mylau. Damit war der Krieg für Netzschkau zu
                                                                   Ende. Auf dem Markt und längs der Straße jubelten vorwiegend
                                                                   Fremdarbeiter den Amerikanern zu.
                                                                   Diese warfen Bonbons, Kaugummi und Schokolade in die Men-
                                                                   schenmenge. Nach und nach kamen auch Netzschkauer Bürger
                                                                   dazu ohne in Jubel und Freude auszubrechen. Später errichteten
                                                                   die Amerikaner an der Bahnhofstraße (gegenüber des Lebens-
                                                                   mittelgeschäftes Paul Gruschwitz) einen Kontrollpunkt.

Standort Geschütze Siedlungs-/Jahnstraße

Am Montag, dem 16.04.1945                                          Legitimationsbescheinigung
gegen 16.00 Uhr sprengte die
dt. Besatzung der 11. Panzer-                                      Vor der Polizeiwache am Rathaus lagen am Vortag abgegebene
division den an der Plauener                                       und zum Teil zerstörte Waffen. Gegen Mittag fielen dort Schüs-
Straße abgestellten Panzer.                                        se. Ohne zu wissen was war, liefen die Menschen auseinander. In
Die spürbaren Erschütterun-                                        der Polizeiwache hielten sich die Polizisten; Paul Heß (PM), Karl
gen bei der Zerstörung Plau-                                       Schädlich (PM), Ewald Hochmuth (Ltn.) und der allgemein belieb-
ens am 10./11.04.1945 ver-                                         te Polizist Albin Hartenstein, den man Wackele nannte, auf. Als die
ängstigten die Bevölkerung                                         Amerikaner die Wache betraten, soll P. Heß auf diese geschossen
stark.                                                             und dabei einen Soldaten verletzt haben. Die im Nachbarhaus
Die Sprengung der Kuhberg-                                         wohnende Augenzeugin Dora Müller berichtete, dass der Sol-
baude am 16.04.1945 mittags,                                       dat gestolpert sei und sich dabei selbst ins Bein geschossen hat.
die Einrichtung des Stabes                                         Anschließend flüchtete P. Heß über den Rathausgarten. Er stellte
sowie einer Artillerieabtei-                                       sich in Rautenkranz und Lengenfeld den amerikanischen Kom-
lung auf dem Gelände des Fir-                                      mandanten.
menchefs der Fa. C.H. Müller                                       Die drei verbliebenen Polizisten mussten mit erhobenen Händen
nahe der Göltzschtalbrücke                                         vor einem amerikanischen Panzer in Richtung Mylau laufen. Den
sowie die Stationierung eines                                      Polizisten A. Hartenstein brachten polnische Fremdarbeiter weg.
Panzers am Bahnwärterhaus Hinweispfeil Luftschutzkeller            Sie versteckten ihn mehrere Tage im „Hotel zum Löwen“. In der
Reinsdorfer Weg, verschärften                                      Nähe des Mylauer Bades erschossen die Amerikaner K. Schädlich
die Lage und die Angst der Netzschkauer Bevölkerung weiter.        und E. Hochmuth. Sie liegen auf dem Mylauer Friedhof begraben.
Die 87. US ID besetzte mit dem 346. Panzer-Grenadier-Regiment      Die amerikanische Kommandantur bezog das Hotel „Ratskeller“.
am 16.04.1945 gegen 13.00 Uhr die Höhen von Brockau. In der        Ein weiterer Teil (Hauptmacht) war im Schützenhaus stationiert
Nacht vom 16. zum 17.04.1945 ca. 2.00 Uhr gaben die Sirenen        und deren Fahrzeuge auf dem Schützenplatz abgestellt. Die
Feindalarm, worauf sich die Bevölkerung in die Luftschutzräu-      schwere Kriegstechnik stand unterhalb des Kuhberges, am Weg
me begab. Die Amerikaner schossen aus Richtung Kuhberg über        nach Brockau.
Netzschkau hinweg in den Wald am Wudel (nahe der Göltzschtal-      Für den 18.04.1945 berief der amerikanische Stadtkommandant
brücke). Der Beschuss galt der 11. Panzerdivision in Reichenbach.  Major Ebbers den neuen Stadtrat und Emil Stark (Besitzer der
Amerikanische Panzer, motorisierte Einheiten und Infanterie fuh-   Nema) als Bürgermeister.
ren am Morgen des 17.04.1945 aus Brockau mit dem Ziel Netz-        Er erließ folgende Anordnungen:
schkau. Auf der Fahrt dorthin kam ihnen in Brockau ein Fahrzeug    - Ausnahmezustand für Netzschkau,
mit beherzten Bürgern entgegen. Die Insassen gaben an, dass        - Keiner darf die Stadt verlassen,
sich in Netzschkau keine deut-                                     - Verdunkelung der Gebäude,
schen Truppen befinden und                                         - Von 20.00 bis 7.00 Uhr darf niemand auf der Straße sein.
die Stadt kampflos übergeben                                       Nachdem die Sparkasse mehrere Tage kein Geld auszahlte, setzte
wird. Lt. Aussage von Fried-                                       ein reger Tausch- und Schwarzmarkthandel ein. In der Bevölke-
rich Walz (Oberingenieur der                                       rung stieg die Angst vor den Fremdarbeitern und den Amerika-
Nema) gehörte der Besitzer                                         nern. In Augenzeugenberichten ist überliefert, dass in Dungers-
der Nema und stellvertreten-                                       grün auf K.-H. Dietzsch und seine Mutter, nach Verlassen der
der Bürgermeister (seit 1933)
Emil Stark zur Fahrzeugbesat-
zung.
Den amerikanischen Truppen
lief am 17.04.1945 in Dungers-
grün die Netzschkauer Bür-
gerin Traudel Dick mit weißer
Fahne und Blumen entgegen.
Sie betonte, dass die Einwoh-
ner Netzschkaus in ihnen Amerikanische Besatzung 1945
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