Page 16 - Stadtanzeiger04.2020
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Samstag, 18. April 2020
Bäckerei, von einem amerikanischen Soldaten gezielt wurde. Ein Netzschkauer Überdruckmarken
anderer Soldat riss die Waffe weg, sodass die Schüsse das Ziel ver- Die Besatzungsmacht wies 1945 die Wiederaufnahme des Schul-
fehlten. betriebes an. Mit Genehmigung des Ortskommandanten wurde
Auch Tiefflieger (Typ P-47 Thunderbold) schossen bei den Wiesen am 07.07.1945 der Postbetrieb aufgenommen. Vom 24.07. bis
um Dungersgrün auf alles, was sich bewegte. 09.08.1945 kamen als Notbehelf überdruckte Hitlermarken in
Lt. Gesetz 53 der Militärregierung waren bis 19.04.1945 alle Waf- Umlauf. Die Idee dazu hatte der bekannte Briefmarkensammler
fen, Munition, Feldstecher, Fotoapparate, neue Filme und Rund- Arthur Opitz aus Netzschkau. Dienst- und Privatreisen bedurften
funkempfänger abzugeben. einer Genehmigung.
Zur Unterstützung der Stadtverwaltung berief die Besatzungs-
macht eine Bürgerpolizei von 100 Mann ohne Waffen und Uni- Passierschein für Dienstreise
form unter Leitung von Wolfgang Schaller.
Dass der Göltzschtalbrücke das gleiche Schicksal wie der Elster- Entlassungsschein Lager Buchenwald
talbrücke erspart blieb ist neben glücklichen Umständen auch Die sowjetische Besatzung beschlagnahmte das am Schützen-
der Tatsache zu verdanken, dass unabhängig voneinander agie- haus gelegene Grundstück von Bäckermeister Max Rudert, um
rende, mutige Bürger sich Befehlen und Weisungen widersetz-
ten. Sie verhinderten damit die sinnlose Zerstörung derselben.
Gegenwärtig sind zehn Personen bekannt, die sich als Retter des
„Achten Weltwunders“ sehen, bzw. als solche zu bewerten sind.
Meist entstanden die Berichte dazu erst Jahre später. Seien wir
froh, dass es diese Menschen gab, so überstand die Brücke den
Krieg ohne Schaden.
Dem Netzschkauer Lehrer Felix Mauersberger gelang die Flucht
aus dem KZ Lengenfeld. Paul Dick aus Netzschkau versteckte ihn
und Dr. Wischeropp behandelte dessen Verletzungen. Er verstarb
am 08.05.1945. Nach seiner Beerdigung erschlugen russische
Fremdarbeiter einen Betriebsobmann der Nema im Netzschkauer
Freibad. Italienische Militärangehörige beabsichtigten einen als
Lagerbewacher eingesetzten Ingenieur von der Göltzschtalbrü-
cke zu stürzen. Das mutige Einschreiten von Maria Döring, einer
jungen italienischen Witwe und Mutter zweier kleiner Kinder, ist
es zu verdanken, dass ihre Landsleute nicht zu Mördern wurden.
Der Pro-Kopf-Verbrauch an Wasser durfte am 18.05.1945 nur
10 Liter betragen. Die Gasabgabe erfolgte wöchentlich an vier
Tagen von 10.30 bis 12.30 Uhr. Um die Verpflegung der Bevöl-
kerung mit Lebensmitteln zu sichern, führte man ab 21.05.1945
wieder Lebensmittelmarken ein, die bis 1958 erhalten blieben.
Zur Unterbringung von Amerikanern waren bis 29.05.1945 die
Häuser der Schützenstraße Nr. 46-67 zu räumen.
Das Kriegsende unter sowjetischer Besatzung
Nach Abzug der Amerikaner mit Riesenlastautos und Jeeps bis
30.06.1945 besetzten ab 01.07.1945 sowjetische Truppen Netz-
schkau. Sie zogen aus Richtung Mylau kommend mit Panjewa-
gen, teilweise ohne Stiefel und mit Möbeln (Sofas) im Gepäck, in
Netzschkau ein. Die Rote Armee richtete ihre Stadtkommandan-
tur im „Ratskeller“ ein. Siegestore (2X6 Meter) stellte sie an der
Ortskrankenkasse, am Markt sowie bei der Gasanstalt auf.
Lt. Befehl von Major Gorlin nahm die Nema mit 100 Beschäftig-
ten die Arbeit wieder auf. Man
stellte Dinge des täglichen
Bedarfs her und reparierte
landwirtschaftliche Geräte.
Ab September waren Repara-
tionsleistungen für die UdSSR
zu erbringen.
Im Juli 1945 gründeten Sieg-
fried Böhm(später Finanzminis-
ter der DDR), Wolfgang Arnold
und Paul Sonntag im Nema
Speiseraum Werk II den „Spor-
tring“ Netzschkau, als gemein-
same Sportorganisation von
FDJ und Gewerkschaft. Da die
gesetzliche Grundlage dazu
fehlte, musste man diese im
gleichen Jahr wieder auflösen. Mitgliederkarte Sportring